Halbnackt und trotzdem schlau

Können Frauenfiguren in Games gleichzeitig sexuell und emanzipiert sein?

Wer Hotpants anhat, die kaum den Allerwertesten bedecken, dem hört man nicht zu, wenn er über Emanzipation reüssiert. Oder überhaupt über irgendetwas Ernsthaftes. Klar. Man ist ja auch zu sehr damit beschäftigt, auf den besagten Allerwertesten zu glotzen.

Ein Problem, das die Entwickler von Tomb Raider (2013) und Rise of the Tomb Raider (2015) erkannt haben und in der Konsequenz der wiederauferstandenen Lara Croft kurzerhand was anzogen. Dann noch ein düsteres Survival-Szenario und die Inszenierung der Verlust der Unschuld oben drauf und fertig: Jetzt kann man Lara Croft ernst nehmen.

Ist es also notwendig, Frauenfiguren in Games zu entsexualisieren bevor man sie ernst nehmen kann? Ist Emanzipation gebunden an Entesexualisierung?

Können Frauenfiguren in Games gleichzeitig sexuell und emanzipiert sein?

Das Problem liegt, wie so oft, außerhalb der Spiele. Es liegt in der vorherrschenden Sexualmoral unserer Gesellschaft. Die Sexualmoral vieler Kulturen – auch die westlicher Gesellschaften – basiert noch immer auf einer bestimmten Überzeugung: Ansehen ist an Sexualität geknüpft.[1] Die moralischen Erwartungen an Frauen und Männer könnten dabei asymmetrischer nicht sein: „[…] Sexuelle Aktivität wird bei Mädchen und Frauen generell kritischer und negativer bewertet wird als bei Jungen und Männern. Nach traditionellen Geschlechterrollen `brauchen´ vor allem Männer Sex und unterstreichen durch sexuelle `Eroberungen´ ihre Männlichkeit, während Frauen in erster Linie Liebe suchen und durch sexuelle `Verfügbarkeit´ an Ansehen verlieren“[2].

Sexuelle Doppelmoral also.

Weil Games als Teil der Medienlandschaft die moralischen Wertvorstellungen einer Gesellschaft notwendigerweise widerspiegeln, herrscht in Spielen das gleiche Prinzip. Eine sexuell zu offenherzige Frauenfigur wird mit entsprechender (Un)Moral verbunden. Man denke nur an die unzähligen sich räkelnden, halbnackten Frauenfiguren in God of War, deren einzige Rolle offensichtlich ist, sich  vom hypermaskulinen, muskelbepackten Held Kratos in Sex-Mini-Games durchnehmen zu lassen. Oder die Spielwelt von Witcher 3, in der sämtliche Frauenfiguren mit optisch überhöhten sexuellen Merkmalen dargestellt werden (große Brüste, Schlanke Taille, breite Hüfte etc.). In der Logik unserer Sexualmoral signalisiert das: Alle Frauen sind damit quasi verfügbar für den männlichen Protagonisten – wieder mal ein muskelbepackter, super-maskuliner Held – Geralt von Riva. Der männliche Protagonist ist in der aktiven Position, die weibliche Figur in der passiven.

Wer aussieht wie eine B****, ist auch eine.

So die Logik hinter der Doppelmoral, von der aus zum victim blaming es nicht mehr weit ist: Wer so einen Minirock anzieht, ist selber schuld. Die männlichen Helden indes dürfen ihre männliche Sexualität in Mini-Games zelebrieren. Aber Lara Croft muss sich erst eine lange Hose anziehen und sich die Brüste verkleinern, um endlich ernst genommen zu werden.

Aber: Sexualität und Emanzipation ist kein Widerspruch.

Sondern lediglich eine Norm. Die, wie jede gesellschaftliche Norm, durchbrochen werden kann. Gerade Games bieten dafür eine wertvolle Versuchsplattform. In ihnen können fiktiv Grenzen überschritten werden, die in der gesellschaftlichen Realität sanktioniert würden bzw. unmöglich sind. Das tun wir im Spiel die ganze Zeit. Wir setzen uns über physikalische Gesetze hinweg –  klettern, springen, fliegen über unmöglichste Hindernisse und Schluchten. Wir schießen, stoßen, schlagen uns durch zahllose Gegner. Wir treffen bewusst Entscheidungen, die unserem moralischen Kompass widersprechen – um im Spiel weiterzukommen oder vielleicht einfach, um zu sehen was passiert.

Moderne Heldinnen: Trip und Co.

Dagegen scheint es beinahe eine leichte Übung, die Grenze der sexuellen Doppelmoral in Games aufzulösen. Und es gibt schon Beispiele dafür: Verse, eine Scarlet Fury und unser erstes Partymitglied in Tyranny (2016), ist genauso sexy wie tödlich. Mit Zoe Castillo und April Ryan hat Funcom bzw. Red Thread Games in The Longest Journey (2000), Dreamfall: The Longest Journey (2006) und Dreamfall: Chapters (2014) ein Protagonistinnen-Doppel geschaffen, das weitgehend unabhängig von männlichen Charakteren sämtliche Fäden der Spielwelt in Händen hält. Dass der einzige männliche Protagonist – Kian Alvani – zudem homosexuell ist, ist ein zusätzlicher Geniestreich des norwegischen Game Designers Ragnar Tørnquist. Und Trip, die weibliche Hauptfigur in Enslaved: Odyssey to the West (2010), ist zwar bauchfrei in knappem Top und mit hautenger Jeans unterwegs. Es bleibt aber kein Zweifel, dass sie den Ton angibt und den männlichen Helden komplett unter Kontrolle hat. Das ganz wörtlich. Zu Anfang des Spiels legt sie ihm ein Sklavenstirnband an, das ihn dazu zwingt, sie unter allen Umständen zu beschützen – und ihn zugleich davon abhält, sie selbst anzugreifen. Die Aktiv-Passiv-Verteilung kehrt sich hier um. Der muskelbepackte, hypertestosterongeladene Protagonist ist diesmal also in der passiven Position, die Frauenfigur in der aktiven.

Alle dieser Frauenfiguren wissen genau, was sie wollen. Sie sind emanzipiert und treiben das Spielgeschehen aktiv voran. Sie haben was zu sagen. Wir folgen ihnen deswegen so gerne. Dass sie dabei Hotpants tragen, fällt uns dann gar nicht mehr auf. Ist auch egal.


[1] http://www.focus.de/wissen/experten/lohmann/sexualmoral-frueher-und-heute-keuschheit-als-kapital_id_4656262.html

[2] Döring, Nicola: „Medien und Sexualität“ in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaften Online. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2013, S. 4.

Vorheriger ArtikelInterview mit Uli König (PIRATEN) zum Thema Chancen des technologischen Wandels
Nächster ArtikelVom ewigen Spiele-Hopping: A Never Ending Story

1 Kommentar

  1. Schöner Beitrag 🙂
    Sex sells, das wissen wohl alle. Leider kann dadurch relativ schnell ein falsches Bild der Frau in den Medien entstehen. Die Figur der „Maid in Not“ oder die Frau als dumme Gehilfin, die ohne den männlichen, mit Testosteron vollgepumpten Protagonisten keine fünf Sekunden überleben würden, sieht man glücklicherweise jedoch immer weniger. Leider wurden jedoch viele durch Anita Sarkeesian abgeschreckt, die das ganze etwas zu weit trieb und vermutlich auch keine Ahnung hatte, was sie da kund gab. Hoffentlich werden wir in Zukunft mehr weibliche Protagonistinnen à la Ellen Ripley (Alien: Isolation) oder Begleiterinnen wie Elizabeth (Bioshock Infinite).

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.