Die (Un)Übertragbarkeit der Narration
Das klassische Argument hier ist: Narrationen können nur mittelbar erlebt werden. Das freilich liegt in der Natur der Sache. Ansonsten wäre es keine Narration, sondern ein direktes, unmittelbares Erlebnis. Das wiederum (noch) keine Narration ist.
Aber: Narrationen sind unabhängig von Medien, d.h. wir können Narrationen zwar nie direkt erleben, aber dafür können sie in verschiedenste Medien „übersetzt“ werden. Die Verfilmung von Clockwork Orange wird für die Leser des Buches Wiedererkennungswert haben. Die Narration wird vom Medium Literatur in das Medium Film übertragen. Also von einem narrativen Medium in ein anderes.
Wenn Spiele ebenso narrative Medien sind wie Filme und Literatur, dann müsste das ja ähnlich funktionieren. Geschichten aus Film und Literatur müssten sich also in Spiele übersetzen lassen und umgekehrt. Schauen wir uns dafür zunächst einmal an, aus was ein Narrativ denn überhaupt besteht: Da ist der Diskurs (die Geschichte wird erzählt) und die Geschichte selbst (die erzählte Geschichte). Die Geschichte selbst setzt sich zusammen aus Figuren/Settings und den Ereignissen/Handlungen. Wir können eine bestimmte Geschichte dann wiedererkennen, wenn die Geschichte, also die Figuren/Settings und Ereignisse/Handlungen, beibehalten werden.
Aber das funktioniert bei Spielen nicht.
Viele Spiele, die auf anderen Medien basieren, greifen nur ein Element der aus dem anderen Medium importierten Geschichte auf: In der an die Star Wars-Filme angelehnten Bioware-Reihe Knights of the Old Republic fehlen viele für die Filmnarration zentrale Charaktere und Konflikte.
Und das Offensichtlichste: Wenn wir das Spiel nicht schaffen oder schlicht nicht beenden, dann entspricht es nicht dem Film. Und selbst wenn wir das Spiel erfolgreich beenden, folgt unter Umständen – wie in der Arcade-Version Star Wars von 1983 – ein anderes Ende als im Film: In diesem Fall taucht ein neuer Todesstern auf.
Die Übersetzung der Narration aus dem Film in das Spiel gelingt aus einem einfachen Grund nicht: Im Spiel können wir auch scheitern.
Und wie steht es mit der Übersetzung von Narration aus dem Spiel in Film oder Literatur? Zwar können Figuren/Settings und Ereignisse/Handlungen hier übersetzt werden – denken wir an die Tomb Raider-Verfilmungen. Das dynamische System allerdings nicht. Bei einem Medium, in dem Spieldauern von 50-100 Stunden keine Seltenheit sind, ist das auch kein Wunder. Wer würde schon stundenlang einer Spielfigur beim Looten (Plündern von Ressourcen) im Open World Fantasy-Spiel The Elder Scrolls V: Skyrim zuschauen wollen?
Das Konzept der transmedialen Narration trifft auf Spiele also nicht zu. Damit unterscheiden sie sich schon einmal grundlegend von anderen Medien.
Schauen wir uns das nächste Argument an.
Die meisten Spiele haben narrative Elemente?
Das Argument: Egal ob in Cut-Scenes und Intros dargestellt oder im Handbuch beschrieben, die meisten Spiele haben eine Story, die uns Spieler in einen bestimmten narrativen Kontext in die Spielwelt versetzt. Wir bekommen eine Geschichte mit einem oftmals ganz bestimmten, idealen Ziel vorgesetzt, das wir erreichen sollen: Den Endgegner besiegen, die Welt retten etc. Spiele nutzen also Geschichten, um ein bestimmtes Verhalten im Spieler zu motivieren. Das ist eindeutig narrativ.
Oder?
Nein, ist es nicht. Zwar nutzen viele Spiele narrative Elemente mit einem festgelegten narrativen Ziel – das „Durchspielen“ der Haupt Story. Aber das Erreichen dieses narrativen Ziels ist weder notwendigerweise der Endpunkt des Spiels – Nach Abschluss der Haupt Story in The Elder Scrolls V: Skyrim oder The Elder Scrolls IV: Oblivion geht das Spiel einfach weiter, beim Klassiker Space Invaders nimmt die Gegnerschar kein Ende und auch beim Indie-Kriegs-Simulator September 12th wachsen die Terroristenströme stetig an – noch ist der Weg dorthin vergleichbar mit den narrativen Formeln von Literatur und Film.
Was heißt das genau?
Die klassische narrative Differenz zwischen der Zeit der Geschichte (story time) und der Zeit der Narration (discourse/narrative time) ist in Spielen aufgehoben. In Film und Literatur – und auch anderen Formen wie dem Theater – gibt es eine fundamentale Differenz zwischen der Zeit der Geschichte selbst und der Zeit der Narration. Aus dieser Ungleichzeitigkeit schöpfen diese Medien zudem viel künstlerisches Potential – man denke nur an komplexe Erzählstrukturen in Filmen wie Gaspar Noés Irréversible oder Christopher Nolans Memento. Aber: In Spielen gibt es diese Differenz nicht. Genauer gesagt: Zwar gibt es sie in linear-narrativen Elementen wie etwa in Cut-Scenes. Aber: Sobald wir spielen, löst sie sich auf.
Story Time is dicsourse time.
Die Erzählzeit und die erzählte Zeit überschneiden sich: „[…] When the user can interact, they [story time and discourse time] must necessarily implode: it is impossible to influence something that has already happened“ (Juul).
Das heißt: Interaktivität und Narration können nicht zur selben Zeit stattfinden.
Banale narrative Mittel wie Rückschauen oder Vorschauen kommen in Spielen quasi nicht vor. Ein Spiel spielen heißt also, dass die Zeit der Spielwelt und die Zeit des Spielens über längere Perioden konvergieren müssen. Das ist schlicht Voraussetzung dafür, dass der Spieler überhaupt im Spiel interagieren kann. Das ist ein weiterer fundamentaler Unterschied zur Narration anderer Medien.
Kommen wir zum letzen Argument.