Wie in guten Spielen

Der Spieler als Schöpfer der Narration

Provokant könnte man sagen, Spiele haben Narration nicht nötig.

Zumindest nicht in dem klassischen Sinne anderer Medien. Die Narration in Spielen ist eine aktive-schöpfende, keine passiv-rezipierende. Und genau hier liegt der zentrale Fehler in Wederhakes Artikel: „Besonders auffällig wird dies[e narrative Unzulänglichkeit, Anm. der Autorin], wenn die Spielmechanik mit der Geschichte kollidiert. Open World Spiele sind der denkbar schlechteste Ort, um konzentriert eine Geschichte zu erzählen“.

Stimmt.

Aber: Die Prämisse ist falsch. In Spielen geht es gar nicht darum, konzentriert, stringent und linear eine bestimmte Geschichte zu erzählen.

Das hat schon Kieron Gillen, Spielejournalist und „Erfinder“ des New Game Journalism, erkannt. Worum geht es aber dann? Um etwas ganz ähnliches, worum des dem New Game Journalism geht. Dieser beschreibt, wie es sich anfühlt, dort zu sein. Der Blogger Ian „Always Black“ Shanahan hat es in seinem Artikel Bow, Nigger vorgemacht. 2004 in einem Multiplayer-Erlebnis während eines Zweikampfes im Spiel Star Wars Jedi Knight II: Jedi Outcast entstanden, erzählt ermit Anleihen an Hunter S. Thompson und Truman Capote die ganz persönliche Geschichte des Spielers im Spiel. Zugleich wird das subjektive Erlebnis aber im Rahmen der Spielwelt von Jedi Knight II verhandelt: Duelliertricks und -tipps werden im direkten Zweikampf besprochen. Normkodices der Jedi-Ritter, die zwischen den Spielern immense soziale Bedeutung haben wie etwa die Verbeugung vor dem Kampf, werden wirksam, weil sie der Gegner des Spielers im Duell wohlweislich missachtet. Der Spieler verbeugt sich trotzdem. Nicht, um seiner virtuellen Rolle als Jedi-Ritter zu entsprechen. Sondern aus dem Trotz heraus, das „Richtige“ zu tun, selbst wenn der Gegner das Duell mit der Aufforderung „Bow, Nigger“ beginnt. Der Artikel, der nun folgt, ist so dynamisch wie das Duell selbst. Und als der Spieler am Ende, mit einem einzigen verbleibenden Health Point, tatsächlich siegt, ist es nicht nur ein Sieg über einen unbekannten Gegenspieler in irgendeinem Multiplayer-Spiel, sondern ein Sieg über Rassismus und über die Hybris des Menschen. So zumindest fühlt es sich an. Der Artikel endet mit: „I´m a fucking hero. A real one“. Widerstand gegen Rassismus, Respekt vor dem jeweils Anderen, Abkehr von menschlicher Hybris – das alles sind Narrationen, die das Spiel nicht enthält. Der Spieler selbst erst erschafft diese, indem er spielt.

Indem er spielt, erlebt er seine eigene Geschichte in fremden Welten.

So könnte ein neuer Zugang zu Games und Narration eröffnet werden. Im Abkehr von der klassischen Perspektive von Narration in Bezug auf Spiele, die ohnehin nicht zu halten ist, könnte das einzigartige und neue narrative Potential von Spielen herausgestellt werden. Spiele erzählen nämlich durchaus Geschichten. So viele Geschichten, wie es Menschen vor Bildschirmen gibt.

(Open World) Spiele mögen also der denkbar schlechteste Ort sein, um konzentriert eine Geschichte zu erzählen.

Aber sie sind der beste Ort, um Geschichten zu erleben.


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