Online Wedding: Bis dass der Logout uns scheidet?

Pressemitteilung von Gamereactor am 17. Oktober 2016: „Niti“ und „Eli“ vom Clan „Midgard“ im kooperativen free2play-Shooter Warframe heiraten online![1]

Na und? möchte man sich denken. Was hat ein Third-Person Online-Shooter mit dem Bund des Lebens zu tun? In den gemächlicheren, sozial weitaus kooperativeren Gefilden der MMORPGs mag das ja in den Spielkontext passen – aber in einem Shooter? Aber: Auf facebook gefällt geschlagenen 51.630 Personen das Vorhaben. Die Liste der über die Hochzeit berichtenden Plattformen ist lang, wer mag kann sich die Zeremonie auf youtube ansehen.[2] Und Entwickler Digital Extremes streamt das Ganze auch noch live!

Zeit also, sich einmal genauer mit dem Phänomen Online Wedding zu befassen.

Ferntrauung: Soweit nichts Neues

Die physische Anwesenheit des Brautpaares ist in den meisten Rechtsordnungen Voraussetzung für den Vollzug der Eheschließung. In § 1311 BGB heißt es: „Die Eheschließenden müssen die Erklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit [abgeben]“.

Das war aber längst nicht immer so. Gerade in adeligen Kreisen war die Handschuhehe – also die Eheschließung in Abwesenheit – bis weit ins 18. Jahrhundert hinein üblich. Einleuchtend, da Ehen aus politischen Überlegungen hin schneller geschlossen wurden als es dauerte, bis die glückliche Braut ihr standesgemäßes Gefolge zusammengeklaubt hatte, endlich in der Kutsche saß und dann noch die Reise mit durchschnittlich vier PS zurückgelegt hatte. Während Braut oder Bräutigam also noch im Vierspänner irgendwo über Feldwege schaukelten, wurden sie schon verheiratet.

Keine Anwesenheitspflicht

Heute besitzt die Ehe in Deutschland den dem romantischen Anlass so unpassenden Status des „personenrechtlichen Rechtsgeschäft“. Kurz: Bist du bei deiner eigenen Hochzeit nicht da, kannst du nicht heiraten. Ausnahmen gab es aber immer wieder. Gerade im Militär kommt es oft zu Ferntrauungen. Für die „Stahlhelmtrauung“ im zweiten Weltkrieg war eine vom Vorgesetzten beglaubigte, schriftliche Erklärung ausreichend, um eine Ferntrauung vorzunehmen. In Italien, Kolumbien, Mazedonien, Mexiko, Polen, Portugal, Spanien sowie in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten und im Recht einiger islamischer Staaten ist die Fernhochzeit auch heute zulässig. Eine Praxis, die vor allem im US-amerikanischen Militär rege genutzt wird: 40% der Eheschließungen via Internet betrifft Militärangehörige. Aber auch zivile Liebespaare trauen sich zunehmend online. In den USA sind es insgesamt ca. 500 digitale Eheschließungen im Jahr – Tendenz steigend.

Die Proxy Marriage als Antwort auf das Global Village

Kein Wunder. Zwar wächst die Welt digital zusammen. Die faktische Reisedistanz zwischen einer Braut aus Texas und ihrem Bräutigam in Dhaka bleibt aber weiterhin bestehen.

Die Proxy Marriage ist die naheliegende Lösung im Global Village.

Das ist der eine Grund, warum „Niti“ und „Eli“ sich für die Online-Hochzeit entschieden haben: „[We] have friends from around the world. We had discussed ways of trying to get all of them there for our wedding, and came to the conclusion that it was impossible, we have friends in Denmark, Japan, America, Canada, Germany and England… it just wasn’t going to be possible to get everyone in one place“[3]. Das Problem der Distanz. Die Ferntrauung als Lösung. Dieser Ansatz ist so alt wie die blaublütige Heiratspolitik europäischer Adelsgeschlechter.

Mein Avatar und ich

Der andere Grund aber ist ein ganz anderer. Das Warframe-Brautpaar beschreibt ihn so: „We felt that our online persona really is us, it´s how we interact with the rest of the world […]. It [the online wedding] allows us to have our wedding in a place we call home“[4].

Es sind also nicht nur praktische Gründe, die für die Ferntrauung sprechen.

Es sind emotionale.

Die Identität der realen Personen „Niti“ und „Eli“ ist untrennbar mit der Identität ihrer Spielfiguren verbunden. Das Warframe-Paar gibt sich nicht nur virtuell das Ja-Wort, sondern auch real.

Das ist ein großer Unterschied zu vielen Online-Hochzeiten, die ausschließlich ingame vollzogen werden. Die Tradition hier ist lang: Ultima Online stellt ganze Hochzeitsdekorationen und –Outfits, die Kirchen in RuneScape sind beliebte Heiratslocations und in Maplestory muss das Brautpaar zunächst eine Echtgeld-Gebühr zahlen und sich dann in einem Quest auf die Suche nach dem Ehering machen, bevor eine Hochzeit möglich ist.

Viele virtuelle Ehepaare kennen nicht einmal den Namen des Anderen. Die Hochzeit ist ein von der Welt außerhalb des Spiels losgelöster Akt. Im Spiel bin ich verheiratet. „Draußen“ nicht. Zwischen Spiel und Realität liegt eine Grenze. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Logiken innerhalb des jeweiligen Systems nicht kohärent sind. Sie sind schlicht unabhängig voneinander: Ich kann mich in DayZ mit vollstem Einsatz als skrupelloser, zweckorientierter Killer inszenieren und entsprechend handeln und dennoch im realen Alltag moralisch einwandfreie Entscheidungen treffen. Das widerspricht sich nicht. Ich kann im Spiel heiraten, ohne dass das auf mein reales Leben irgendeine Auswirkung hat. Das Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Und so weiter.

Wer will schon die Realität?

Aber genau das macht die Hochzeit von „Niti“ und „Eli“ bemerkenswert.

Die virtuelle Identität ist mit der Identität außerhalb des Spiels verschmolzen. Im Spiel finden die Akteure Ausdrucks- und Verwirklichungsmöglichkeiten, die sie in der realen Welt nicht haben.

Mit der Online-Hochzeit kann nicht nur das alte Problem der Distanz überwunden werden, sondern auch die individuelle Distanz zur faktischen Realität mit all ihren Unzulänglichkeiten. Krankheit, Hässlichkeit, Über- oder Untergewicht – alles kein Problem. Die Hochzeitsgäste in den heiligen (Hochzeits)hallen von Midgard an diesem 17. Oktober stecken allesamt in schimmernden Rüstungen, überall muskulös-geschmeidige Glieder. Kein Gramm Fett, kein bisschen Hässlichkeit. Auch kein betrunkener Onkel auf dieser Hochzeit, der irgendwann peinliche Geschichten erzählt. Nur Regor, oder eine Horde Orks im Falle von Ultima Online, die die Hochzeit crashen, aber natürlich heroisch zurückgeschlagen werden. Und die silberne Halle des Clans Midgard ist auch viel sakraler als die Wirklichkeit jedes städtischen Standesamtes, auf dem sich immer irgendjemand zu laut schnäuzen muss – und man am Ende über sein eigenes Kleid stolpert vor Aufregung. Die Realität kann oft weniger Sakralität bieten als jede durchschnittliche Festhalle von Skyrims Nordfesten bis zum Tempel von Helm in Baldur´s Gate II. K

Mein virtuelles Ich ist Ich!

Kein Wunder also, dass der virtuelle Charakter dem eigenen (Wunsch) Selbstbild mehr entspricht als der Typ jeden Morgen im Spiegel. Und ist nicht unser Online-Charakter viel mehr so, wie wir eigentlich ja sind, oder zumindest ein Teil von uns? Gewandter, geschickter, einnehmender. Einer – der nie stolpert. Mit dem wir Abenteuer erleben, anstatt zur Norma um die Ecke zu gehen und Dosenwürstchen zu kaufen? Unsere virtuelle Identität scheint oft erstrebenswerter als unsere reale. Kein Wunder also, dass wir spielen. Kein Wunder auch, dass „Niti“ und „Eli“ sich in der Form das Ja-Wort geben wollen, die sie ihrer Meinung nach am besten repräsentiert. In der sie sich am besten ausgedrückt fühlen. Als Spieler. Aber auch als Menschen: „Now, not only can people be there who normally couldn´t, but also they can be there in a form that allows them to express who they fell they are, which makes the whole event much more personal for us than everyone turning up in suits and ties“[5]. Mein virtuelles Ich ist Ich! Die virtuelle Identität ist mit der Identität außerhalb des Spiels verschmolzen.

Die virtuelle Trauung ist kein bloßer Akt im Spiel mehr, sondern die Erweiterung der Realität auf das Spiel selbst.

Rettet das Spiel vor der Realität!

Welche Auswirkungen hat das auf den Status von Handlungen in Spielen? Es gibt dem Spiel eine völlig neue Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit. Wenn mein Ich außerhalb und mein Ich im Spiel eins sind, kann ich nicht mehr einfach durch Chernarus rennen und Leuten auflauern aber außerhalb moralisch einwandfrei handeln. Es kommt zum Widerspruch zwischen meiner virtuellen und realen Identität eben deshalb, weil sie plötzlich identisch sein müssten, damit ich keine Kohärenzprobleme mit meinem eigenen Selbst bekomme. Kurz gesagt: Wenn ich im Spiel meinen Ehepartner betrüge, bin ich zunächst schlicht unmoralisch im Spiel. Wenn aber das Spiel zu sozial verbindlichem Gebiet wird und mein virtuelles Ich und mein reales Ich nicht mehr zu trennen sind, bin ich nicht mehr nur im Spiel unmoralisch. Ich bin dann unmoralisch per se. Punkt.

Games sind eine einzigartige Möglichkeit des Selbstausdrucks. Ja. Aber das sind sie eben deshalb, weil sie außerhalb realer Verpflichtungen stehen. Weil wir spielen können, ausprobieren. Auch Böse sein. Falsche Entscheidungen treffen. Unmoralisch eben. Weil unsere Identitätsmöglichkeiten im Spiel zahllos sind. Genau aus diesem Grund findet eine Hochzeit wie die von „Niti“ und „Eli“ auch statt. Weil sie in der Welt von Warframe eine Identität gefunden haben, durch die sie sich ausgedrückt fühlen. Nun wird auf das virtuelle Spiel ein der Realität entlehnter Mechanismus gepackt – die Heirat als urtraditionelles Ritual. Und genau dadurch wird das Spiel eingegrenzt. Das Spiel lebt durch die Abgrenzung von der Realität. Indem diese Grenze verschwimmt, kommt in das Game eine Ernsthaftigkeit, die weniger Spielraum lässt für das Game selbst. Ein „historischer Moment für das Game“ meint eine Kommentatorin der Hochzeitszeremonie. Weil das Spiel durch die Hochzeit nicht mehr nur als Spiel wahrgenommen wird sondern als alternativer sozialer Lebensraum, der das Spiel hochwertet. Ich meine, genau das Gegenteil passiert: Das Spiel wird entwertet, weil die Realität es plötzlich für sich in Anspruch nimmt. Wir heiraten online, weil wir die Realität nicht wollen. Weil wir nicht stolpern wollen. Warum bringen wir das Stolpern jetzt selbst ins Spiel?


[1] http://www.gamereactor.de/News/355543/Heute+Abend+grosse+Hochzeit+in+Warframe.

[2] https://www.youtube.com/watch?v=zuwDD4I_v1M.

[3] http://thegg.net/hot-news/you-are-invited-to-a-warframe-wedding.

[4] ebda.

[5] ebda.

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